Zum fairen Deal für pflegende Angehörige
In der aktuell aufgeheizten Diskussion um die Angehörigenpflege, insbesondere im Zusammenhang mit privaten Spitexen, und die damit einhergehende Stigmatisierung von pflegenden Angehörigen möchten wir eine Momentaufnahme machen. Vor dem Hintergrund des erwarteten Berichts des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zu diesem Thema gilt es, die Diskussion zu beruhigen und zu relativieren. Die zentrale Frage, die wir stellen, lautet: Was ist der Schweiz die Arbeit der pflegenden Angehörigen wert?
Pflegende Angehörige leisten einen unschätzbaren Beitrag zur Gesundheitsversorgung in der Schweiz. Ihr Beitrag wird auf unglaubliche 3.7 Milliarden Franken jährlich geschätzt. Dieser Betrag stellt nicht nur den wirtschaftlichen Wert ihrer Arbeit dar, sondern zeigt auch, wie unersetzlich diese informellen Pflegekräfte sind. Dennoch werden pflegende Angehörige oft übersehen oder ihre Leistungen als selbstverständlich angesehen. Viele von ihnen haben keine andere Wahl, als diese Aufgaben zu übernehmen, da es an Alternativen mangelt.
Trotz der immensen Belastungen und des persönlichen Einsatzes bleibt die gesellschaftliche Anerkennung weit hinter dem zurück, was diese Personen verdienen. Die bestehenden Instrumente, wie die Hilflosenentschädigung, Betreuungszulagen oder Entlastungsgutscheine, bieten zwar Unterstützung, sind jedoch in ihrer Reichweite und ihrem Umfang begrenzt. Die Realität zeigt, dass diese Hilfen bei weitem nicht ausreichen, um die langfristige Betreuung von kranken, älteren oder behinderten Menschen durch Angehörige zu gewährleisten.
Die Alternativen für Familien – und ihre Mängel
Für Familien, die finanziell eingeschränkt sind, bleiben oft nur zwei Möglichkeiten: Die gepflegte Person in einem Heim unterzubringen oder die pflegende Angehörige bei einer Spitex-Organisation anzustellen. Die zentrale Frage lautet: Was wäre ein fairer Ausgleich für die pflegenden Angehörigen, die Tag und Nacht im Einsatz sind?
Seit einiger Zeit erhalten Spitex-Organisationen Gelder, um pflegende Angehörige anzustellen, und in einigen Kantonen gibt es Betreuungszulagen. Diese Massnahmen können jedoch nur einen Teil der Belastung ausgleichen, und selbst eine Kombination aus Anstellung, Zulagen und Hilflosenentschädigung reicht oft nicht aus, um einen fairen Lohn zu sichern. Mit einem monatlichen Verdienst von 2'700 bis 3'500 Franken bleibt die Frage: Ist das fair, wenn man bedenkt, dass der Durchschnittslohn im Gesundheits- und Sozialwesen weit höher liegt?
Dringender Handlungsbedarf
Eine besonders grosse Hürde ist die schnelle und unbürokratische Verfügbarkeit von Unterstützung. Nach medizinischen Notfällen, wie einem Schlaganfall, muss die Betreuung sofort organisiert werden. Komplexe Antragsverfahren und lange Wartezeiten sind in solchen Situationen eine enorme Belastung für die Angehörigen. Es ist daher dringend notwendig, einfache und schnelle finanzielle Soforthilfe zu etablieren.
Die Kosten für die Gesellschaft – und der fehlende Wille
Die Betreuung von Angehörigen ist kein Problem, das nur wenige betrifft. Zwischen 8 % und 17 % der Bevölkerung in der Schweiz leisten informelle Pflege oder sind darauf angewiesen. Doch die grosse Mehrheit dieser Menschen erhält und will keine finanzielle Unterstützung. Es braucht jedoch dringend Massnahmen, um die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung zu verbessern. Digitale Lösungen, die den Zugang zu Hilfsangeboten vereinfachen und die administrative Koordination erleichtern, sind ein vielversprechender Ansatz.
Die geschätzten Kosten für eine flächendeckende Anstellung pflegender Angehöriger und die Bereitstellung von Betreuungszulagen belaufen sich auf etwa 1.8 Milliarden Franken pro Jahr. Ist uns diese wertvolle Arbeit wirklich so viel wert? Diese Frage muss unsere Gesellschaft in einer breiten Debatte beantworten, denn die Leistungen der pflegenden Angehörigen sind systemrelevant und unverzichtbar für das Funktionieren unseres Sozial- und Gesundheitssystems.
Die Zukunft der Swiss Carers: ein “fairer Deal”
Swiss Carers fordert eine systematische gesellschaftliche Debatte und einen „fairen Deal“ für betreuende Angehörige. Diese Initiative soll auf den Erkenntnissen innovativer Pilotprojekte aufbauen und sich dafür einsetzen, dass Angehörige mehr Unterstützung erhalten – sei es durch finanzielle Hilfen oder durch die Entwicklung digitaler Selbstmanagement-Instrumente, die ihnen die Pflege erleichtern. Ein besonderes Anliegen von Swiss Carers ist die Einführung eines „Care-Promille“, das gezielt zur Finanzierung einer neutralen Vertretungsorganisation beitragen soll, um die Interessen der betreuenden Angehörigen noch stärker zu vertreten.
Denn letztlich ist die Antwort auf die Frage „Was sind der Schweiz die betreuenden Angehörigen wert?“ auch eine Antwort auf die Frage, wie solidarisch unsere Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.
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