Ohne Erstanlaufstelle für Angehörige bleiben die Bemühungen auf halbem Wege stehen
Langzeitpflege ist komplex. Oft führt eine plötzliche Verschlechterung der Gesundheit zu einer Krise, in welcher unter grossem Druck schnell eine Lösung gefunden werden muss. Die vorausschauende Planung ist nicht jedermanns Sache, das vorsorgliche Reden über mögliche Schwächen nicht die Regel. Aber berechtigte Fragen sollen rechtzeitig gestellt werden können. Stellen, die sie gerne beantworten würden, gibt es meist in grösseren Gemeinden. Diese Altersbeauftragten oder Anlaufstellen für Pflegekoordination sind je nach Kanton sehr unterschiedlich ausgestattet und haben unterschiedliche Aufgaben. Das macht die Suche nicht einfach.
Typische Fragen können sein: Wer kümmert sich nach einem Austritt aus dem Spital um die Patientin, den Patienten? Vor dieser Frage stehen jeden Tag ältere Menschen und ihre Familien. Ist die häusliche Pflege mit Spitex oder die stationäre Pflege in einem Heim die bessere Option? Wie viel wird es kosten, wer wird es bezahlen? Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?
Wenn die häusliche Pflege mit Spitex die Antwort ist: Wie findet man eine qualifizierte und bezahlbare Pflegekraft? Wo fängt man überhaupt an? Lebensverändernde Entscheidungen müssen getroffen werden, und zwar schnell.
Jeden Tag stehen viele betreuende Angehörige aller Einkommensschichten vor Herausforderungen dieser Art. Zum ersten Mal damit konfrontiert wissen die wenigsten, welche Arten von Dienstleistungen zur Verfügung stehen oder wie sie diese bezahlen können. Viele glauben zum Beispiel, dass die Krankenkasse für die Betreuung aufkommt, aber das ist in der Regel nicht der Fall.
Bei den Betroffenen folgt häufig auf eine Krise eine Phase der Ruhe, bis der nächste Pflegenotfall eintritt und die Hektik wieder beginnt. Familien, die dem ausgesetzt sind, sind gezwungen, immer wieder Betreuungsnetze an die neue Situation anzupassen oder neu aufzubauen und zu verwalten. Das ist mehr als ein Vollzeitjob, der oft an die Stelle einer bezahlten Tätigkeit tritt, besonders häufig bei Frauen.
Ideal wäre eine unabhängige Unterstützung oder eine Anleitung, die zeigt, wo benötigte Ressourcen im Angebotsdschungel zu finden sind – eine zentrale, gemeindenahe Stelle, bei der schnell und einfach Hilfe zu bekommen ist, eine, die so vertraut ist wie die Post oder die Bank.
Im Synthesebericht des Förderprogramms zur Entlastung von betreuenden Angehörigen werden Erstanlaufstellen gefordert, welche betreuenden Angehörigen insbesondere in Notfallsituationen unterstützen sollen, sich in dem Labyrinth von Optionen und Entscheidungen zurechtzufinden.
Ebenso wichtig wie der Notfall ist der Alltag. Auch hier das gleiche Bild: Es gibt eine Fülle von Anbietern und Trägerorganisationen, darunter Krankenkassen, Spitäler, Pflegeheime, Spitex und Betreuungsanbieter. Sobald mehrere von ihnen bei derselben Patientin, demselben Patienten involviert sind, liegt der Ball wieder bei den betreuenden Angehörigen, alles zu koordinieren.
Wer für jemand anders sorgt, sollte dabei unterstützt werden, Ressourcen und Beratung bei Anlaufstellen zu finden, die nicht einer bestimmten Gruppe von Leistungserbringern verpflichtet sind. Solche unabhängigen Lotsen durch das Sozial- und Gesundheitswesen sollten in der Lage sein, die Betroffenen zu Lösungen zu navigieren, die ihre finanziellen, pflegerischen und sozialen Bedürfnisse am besten erfüllen.
Altersbeauftragte oder Anlauf- und Koordinationsstellen von Gemeinden sind ein erster Schritt hin zu einer sozialen Infrastruktur für gute Betreuung. Der zweite Schritt, nämlich Angehörige auch mit Hilfe neuer Kommunikationsmittel zu unterstützen. Zwei Drittel der erwachsenen betreuenden Angehörigen sind berufstätig. Ganz besonders für sie wäre ein digitaler Zugang zu entscheidenden Informationen ein Segen. Ohne eine solche zentrale digitale Erstanlaufstelle für Betreuende bleiben die Bemühungen auf halbem Wege stehen. Gemeinden und Anbieter verpassen die Chancen, die sich aus der bereits vorhandenen sozialen Infrastruktur ergeben würden, nämlich eine wachsende Zahl älterer Menschen zu unterstützen, die eine Vielzahl von Dienstleistungen und Hilfen benötigen, um in der Gemeinschaft zu bleiben.
Wie könnte eine solche zentrale digitale Erstanlaufstelle für Betreuende aussehen? Das Projekt von Pro Aidants sieht die Vernetzung unabhängiger gemeindlicher Anlaufstellen vor. Gemeinsam schliessen sie sich zu einer zentralen digitalen Erstanlaufstelle zusammen. An sie können sich Familien wenden, um Ressourcen, Unterstützung und Beratung für die Pflege und Betreuung ihrer Angehörigen zu erhalten, z.B. bei der:
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Beurteilung der gesundheitlichen und finanziellen Bedürfnisse eines älteren Menschen
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Erstellung und Unterstützung beim Erstellen eines Pflegeplans, der die Entscheidung beinhaltet, ob häusliche Pflege, institutionelle Pflege oder betreutes Wohnen die beste Option ist
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Unterstützung beim Identifizieren und Auswählen geeigneter Dienste und Anbieter sowie bei der Koordination der Pflege
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Unterstützung beim Finanzieren durch öffentliche und private Quellen
Dank öffentlicher Investitionen und einer öffentlich-privaten Partnerschaft für die Betriebskosten könnte die digitale zentrale Erstanlaufstelle unbefangen und unabhängig arbeiten. Die Finanzierung der Betreuung wird von der Initiative «Gute Betreuung im Alter» als wichtige Unterstützung für betreuende Angehörige genannt. Betreuende Angehörige könnten auch unabhängig von ihrem Einkommen unterstützt werden. Diese neue soziale Infrastruktur für Betreuung und Pflege würde den Angehörigen dabei helfen, sich beim Verwalten und Administrieren in den komplexen Systemen für die Pflege und Finanzierung der Bedürfnisse älterer Erwachsener zurechtzufinden.
Die mit diesem Projekt gewonnenen Erkenntnisse sollen zeigen, wie ein kollaboratives Netzwerk von Anlaufstellen aufgebaut, betrieben und finanziert werden kann, sodass auch weitere Anlaufstellen und Gemeinden in der übrigen Schweiz davon profitieren können.
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