Junge betreuende Angehörige, kurz «Young Carers» genannt, betreuen und pflegen neben der Schule, Lehre oder dem Studium eine ihnen nahestehende Person. Wie zum Beispiel ein Elternteil mit Demenz, Krebs, psychologischen Herausforderungen, Suchtproblemen oder ein Geschwister mit speziellen Bedürfnissen.
An der internationalen Tagung von Careum Gesundheit in Lugano, eröffnet durch Dr. Raffaele De Rosa, Staatsrat und Leiter des Departments Gesundheit und Soziales, Kanton Tessin, zeigte sich die Wichtigkeit des Begriffs Young Carer. Dieser wurde massgeblich durch das Engagement von Prof. Dr. Agnes Leu, Prorektorin Forschung, Young Carers Forschungsprogramm, Careum Hochschule Gesundheit, Zürich und ihrem Team in die Schweiz gebracht. Nicht allen umständlich ihre komplizierte Lebenswelt erklären zu müssen, in der es um stigmatisierende Krankheiten geht, sondern einfach zu sagen: «Ich bin ein Young Carer» sei ein grosser und wichtiger Fortschritt, so berichtet eine betreuende Angehörige an der Podiumsdiskussion.
Taxi Driver Test
Um neue Begriffe in den Sprachgebrauch einzuführen und diesen in der Fachwelt, Politik und Gesellschaft zu verankern, wird ein langer Atem benötigt. Ob sie es geschafft haben, zeigt der «Taxi Driver Test». Fragen Sie eine Random Person, ob sie etwas zum Thema Young Carers zu sagen hat, so der Vordenker, Prof. Dr. Saul Becker, University of Cambridge, Vereinigtes Königreich. In der Schweiz liegt hier trotz dem grossen Engagement verschiedener Akteure noch ein längerer Weg vor uns. Oder wie es Alma Pedretti vom Bildungsdepartement, Kanton Tessin bemerkte: «Wenn wir nicht heute beginnen, sind wir in fünf Jahre noch gleich weit.»
Advocacy
Doch wo soll der Hebel angesetzt werden? Die wissenschaftliche Evidenz zur Situation in der Schweiz und Modelle guter Praxis aus dem In- und Ausland sind vorhanden, hierzu gute Empfehlungen an Entscheider abzugeben. Neben der eingangs erwähnten gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für das Thema durch Anlässe, Themenwochen und Social Media Kampagnen, gibt es konkrete Anhaltspunkte.
Vernetzte Koordination
Young Carers stellen die Bedürfnisse der betreuten Person in den Mittelpunkt. Erst wenn diese prioritär versorgt sind, oder «es eben einfach funktioniert», können weitere Themen angegangen werden. Dazu benötigen die Familien einen möglichst niederschwelligen Zugang zu finanzierbaren Betreuungs-, Entlastungs- und Pflegediensten. Diese werden durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Carer und Fachpersonen koordiniert erbracht. Young Carer handeln intrinsisch motiviert. Doch sollte die unbezahlte Care-Arbeit durch rund 40'000 Kinder und Teenager in der Schweiz, nicht fairer entschädigt werden?
Vereinbarkeit von Schule und Care
Young Carer schätzen es sehr in der Schule, Lehre oder Studium getragen zu werden. Es sind diese Freiräume, in denen sie ihre Sorgen um Ihre Liebsten für einen Moment vergessen können. Doch hier gibt es einen grossen Aufholbedarf in dem Pädagogen, Sozialarbeiter und Bildungsverantwortliche für das Thema – idealerweise schon in der Grundausbildung - für das Thema sensibilisiert werden. Das leitende Prinzip ist, die Vereinbarkeit von Schule, Ausbildung und Care-Arbeit zu verbessern. Indem anlog einem Spitzensportstudium auf Ereignisse reagiert wird und die Ausbildung sich daran anpasst. In Schweden werden interessanterweise auch solche Heranwachsende in die Programme miteinbezogen, die ein Elternteil verloren haben.
Wichtiger Support
Wenn nun ein Young Carer identifiziert und eine Beziehung aufgebaut werden konnte. Was für eine Dienstleistung kann Ihnen angeboten werden? Erstmals sei es wichtig, keine Dienstleistung anzubieten, sondern einen informellen Support – auch über «Peer Groups» bereitzustellen. Das reicht von sich Zeit nehmen, zuhören bis hin zu einem wertschätzenden Danke. Jugendarbeitenden, Sozialarbeitenden in Schulen und Beratenden in Anlaufstellen von Gemeinden kommen hier eine spezielle Rolle zu. Die Inanspruchnahme von Interventionen durch formelle Beratungsdienste oder die Beauftragung professioneller Leistungserbringer, kann bereits problematisch werden, da Young Carers minderjährig sind und auch Familiendynamiken hineinspielen, getrieben durch Scham, Ängste und Stigma. Hier sei grosses Fingerspitzengefühl gefragt, so die Experten.
Politik
Daneben sind auch engagierte Entscheidungsträger eingeladen, für Young Carers bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Young Carers repräsentieren ein attraktives politisches Themenfeld, wo – neben der medialen Aufmerksamkeit – auch finanzielle Ressourcen benötigt werden. Diese sollten nicht als Kosten, sondern als Gewinnbringende Investitionen in die zukünftige Generation einer Carer-freundlichen Gesellschaft betrachtet werden.
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