Die Pflege durch Angehörige ist eine zentrale Säule unseres Versorgungssystems – doch sie ist oft unsichtbar, unbezahlt und wenig wertgeschätzt. Mit der Einführung des Anstellungsmodells für pflegende Angehörige wurde ein entscheidender Schritt gemacht, diese Arbeit gesellschaftlich anzuerkennen. Doch die öffentliche Debatte, insbesondere in der Westschweiz, zeigt, wie unterschiedlich die Perspektiven auf diesen neuen Anspruch sind. Während die Unterstützung von betreuenden Angehörigen dort als Teil eines gut ausgebauten Service Public verstanden wird – ähnlich wie in Liechtenstein – gibt es in den Deutschschweizer Wirtschaftskantonen weniger Skepsis gegenüber Modellen, die stärker privatwirtschaftlich geprägt sind.
Azra Karabegovic, Co-CEO von Carela, argumentiert in der Luzerner Zeitung, dass die aktuelle Medienkritik häufig auf unbelegten Annahmen und reinen Vermutungen beruhe. Die Luzerner Zeitung wiederum verteidigt sich, indem sie betont, dass die Kritik von etablierten Akteuren des Gesundheitswesens geäussert wurde.
Diese medialen Angriffe, die oft von Eigeninteressen geprägt seien, hätten dazu beigetragen, dass Menschen, die für die Pflege ihrer Angehörigen entlohnt werden, teilweise ein schlechtes Gewissen entwickelten und in ihrem sozialen Umfeld auf Kritik stiessen.
Eine verpasste Chance für Zusammenarbeit
Warum werden diese Unterschiede seitens "etablierter Akteure" so oft als Frontenkrieg inszeniert? Warum müssen pflegende Angehörige, die ohnehin mit einer immensen finanziellen, emotionalen und körperlichen Belastung kämpfen, auch noch in den Medien ausgetragene politische Grabenkämpfe ertragen?
Laut Dr. Andreas Hellmann, Chief Medical Officer, Entyre GmbH gibt es zahlreiche Beispiele, wo Zusammenarbeit zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern das Patientenwohl signifikant verbessert hat. In Skandinavien etwa arbeiten Krankenkassen eng mit gemeinnützigen Organisationen und privaten Initiativen zusammen, um personalisierte Pflegepläne zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse von Patienten und Familien abgestimmt sind.
Ergebnisse wie verminderte Klinikaufenthalte, weniger Überlastung bei pflegenden Angehörigen und höhere Lebensqualität für Pflegebedürftige zeigen:
Kooperation ist der Schlüssel.
Auch in der Schweiz gibt es Pilotprojekte, bei denen Krankenversicherungen, Gemeinden und Leistungserbringer an einem Strang ziehen, um Prävention und Versorgung zu verbessern. Ein Pilotprojekt des Spitex-Verbands Kanton Zürich zeigt, dass kostengünstige Lösungen gefragt sind.
Gleichzeitig müsse sichergestellt werden, dass betreuende Angehörige für ihre wertvolle Arbeit entschädigt werden. Das Angebot der Spitex findet bei den Gemeinden grossen Anklang, bestätigt Jörg Kündig, Präsident des Verbands der Gemeindepräsidien.
Interessenkonflikte lösen, statt sie zu verschärfen
Die Skepsis gegenüber neuen Ansätzen ist nachvollziehbar, aber oft nicht gerechtfertigt. Statt Innovationen aus der Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft reflexartig abzulehnen, sollten wir uns fragen: Wo können öffentliche und private Akteure sinnvoll zusammenarbeiten, um das Pflege- und Unterstützungssystem zukunftssicher zu machen?
Der Schlüssel zur Auflösung dieses Konflikts liegt in der gemeinsamen Ausrichtung auf das Patientenwohl. Anstatt privatwirtschaftliche Modelle und staatliche Strukturen gegeneinander auszuspielen, braucht es verbindliche Standards, die Qualität, Transparenz und Effizienz in den Mittelpunkt stellen.
Hier könnten Krankenkassen, Sozialversicherungen, Kantone und Gemeinden eine entscheidende Rolle spielen – als Vermittlende und Gestaltende innovativer Ansätze.
Pflege im Wandel: Mehr Mut zur Innovation
Die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft lassen sich nicht mit alten Denkweisen lösen. Zur Erinnerung: Es werden alle verfügbaren Betreuungs- und Fachkräfte benötigt.
Angehörigenpflege war lange eine Privatsache, die still und pflichtbewusst im Verborgenen geleistet wurde. Doch diese Zeiten sind zum Glück vorbei, wie Bundesrätin Baume-Schneider in einer Grussbotschaft ausführte.
Wir benötigen neue Modelle, die betreuende und pflegende Angehörige nicht nur unterstützen, sondern ihre Fähigkeiten aktiv einbinden und ihre Arbeit honorieren.
Ein Plädoyer für pragmatische Lösungen
Es gibt keinen Grund, warum die Pflege durch Angehörige ein ideologisches Schlachtfeld bleiben sollte. Statt Grabenkämpfe zu führen, sollten wir gemeinsam an Lösungen arbeiten, die auf Kooperation und Pragmatismus setzen.
Nur so schaffen wir ein Versorgungssystem, das den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird – und pflegende Angehörige nicht im Stich lässt.
Als ehemaliger IT-PR-Profi fühle ich mich unweigerlich an die legendäre „Mac vs. PC“-Debatte erinnert: Zwei Lager, die sich gegenseitig misstrauisch beäugen und bekriegen, während die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer irgendwo auf der Strecke bleiben.
Der Unterschied? In den USA macht man daraus wenigstens unterhaltsame Werbespots. Bei uns in der Schweiz? Da bleibt vergleichende Werbung verpönt – oder zumindest selten so charmant, dass man darüber lachen könnte. Doch der Kern des Konflikts bleibt unverändert: Ideologie gegen Sachlichkeit – ein Klassiker, der nie aus der Mode kommt.