Die Pflege- und Betreuungslandschaft ist im Wandel: Ältere Menschen wünschen sich zunehmend, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu verbleiben, während pflegende Angehörige unter wachsender Belastung stehen. In diesem Spannungsfeld gewinnen Fragen der Finanzierung und der Integration pflegender Angehöriger ins Versicherungssystem an Bedeutung.
Die aktuelle Debatte zeigt sich dabei von kantonal unterschiedlichen Regelungen, komplexen Finanzierungsmodellen sowie divergierenden Interessen der Akteure geprägt. Wie wirken sich etwa mögliche Kürzungen der von Gemeinden getragenen Restkosten auf die Versorgungsqualität aus? Und welchen Stellenwert erhalten pflegende Angehörige, wenn es um adäquate Entschädigung, soziale Absicherung und gesellschaftliche Anerkennung geht?
Kürzungen bei Restkosten: Qualität oder Sparzwang?
Auf Bundesebene und in einigen Kantonen (z.B. in Uri, Zürich, Baselland, Aargau, ...) wird derzeit in Erwägung gezogen, die Restkostenbeiträge, welche durch die Gemeinden an Leistungserbringer entrichtet werden, zu senken – oftmals begründet durch Anfahrtswege oder strukturelle Kostendruckfaktoren. Doch wird dadurch wirklich eine bessere Versorgung der betreuten Personen und ihrer Angehörigen erreicht?
Während herkömmliche Spitex-Organisationen seit Langem auf diesen Finanzierungsstrom bauen, betont etwa Martin Beck von AsFam eine gänzlich andere Kostenstruktur. Seine Mitarbeitenden – darunter auch pflegende Angehörige– werden gezielt geschult und für erbrachte Leistungen direkt entschädigt.
Qualifizierte Pflegefachpersonen hingegen können nur einen geringen Teil ihrer Arbeit abrechnen, was eine auskömmliche Finanzierung erschwert. „Bei höheren Restkosten können wir die Anzahl betreuter Familien pro diplomierte Fallführende tief halten und so die Versorgungsqualität sichern“, erklärt Martin Beck. „Je stärker gespart wird, desto mehr Kompromisse müssen wir bei der Qualität eingehen.“ Gleichzeitig weist Martin Beck darauf hin, dass aufgrund kantonal unterschiedlicher Restkostenansätze de facto ein ungewollter „Finanzausgleich“ zwischen Kantonen mit höheren und solchen mit niedrigeren Beiträgen entsteht.
Auch Azra Karabegovic von Carela macht deutlich: "Ohne Restkostenfinanzierung wären unsere Tätigkeiten nicht kostendeckend". Gängige Spitexorganisationen seien seit jeher auf die Restkostenfinanzierung angewiesen. Weshalb sollte dies bei Anbietern, die sich auf die Angehörigenpflege spezialisieren und über vergleichbare Einkommens- und Ausgabenstrukturen verfügen, anders sein?
Dr. Andreas Hellmann von Pflegewegweiser wiederum warnt vor einem „Flickenteppich“ unterschiedlicher kantonaler Regelungen, die nicht nur den Überblick, sondern auch die Planungssicherheit untergraben. „Eine konsistente, bedarfsorientierte Finanzierung ist unverzichtbar, um langfristig eine stabile und qualitätsorientierte Versorgung zu gewährleisten“, so Dr. Andreas Hellmann.
Anstellung pflegender Angehöriger im Spannungsfeld der Sozialversicherungen
Die Anstellung pflegender Angehöriger ist ein weiteres Thema von erhöhter Brisanz. Die geltenden Sozialversicherungssysteme stehen der Entlöhnung solcher Care-Arbeit teils skeptisch gegenüber. In einigen Fällen kollidieren Lohnzahlungen an pflegende Angehörige mit anderen Finanzhilfen, deren Ausgestaltung und Bezugsberechtigung je nach Kanton oder Gemeinde variieren. Mancherorts werden verschiedene Unterstützungen gegeneinander aufgerechnet, was die Entlastung der pflegenden Angehörigen konterkariert.
„Eine Anstellung ist weit mehr als eine reine finanzielle Kompensation“, betont Martin Beck. Die Integration pflegender Angehöriger in ein Anstellungsverhältnis bringe Anerkennung, soziale Sicherheit, Einbindung in eine Pensionskasse sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten mit sich. Kürzlich bestätigte auch das Bundesgericht, dass Lohnzahlungen an pflegende Angehörige nicht einfach als identische Form der Hilfestellung zu Entschädigungen der Sozialversicherungen betrachtet werden können. Dennoch bleibe es wichtig, klare Regeln für diesen vergleichsweise neuen Bereich zu schaffen.
Dr. Andreas Hellmann schlägt in dieselbe Kerbe und kritisiert, dass die bisherige Praxis eine durchgängige und verlässliche Entlastung für pflegende Angehörige erschwere. Es brauche eine Harmonisierung und ein Zusammendenken der verschiedenen Finanzhilfeangebote, um ein konsistentes Unterstützungssystem zu etablieren. Nur so könne Care-Arbeit als wesentliche gesellschaftliche Leistung angemessen anerkannt und entschädigt werden.
Attraktivität durch Nähe, Verlässlichkeit und flexible Modelle
In einer Landschaft, in der finanzielle Unterstützungsangebote selbst für Fachpersonen kaum überschaubar sind, konnten einige Anbieter dennoch eine grössere Kundengruppe für ihre Dienstleistungen gewinnen. Martin Beck erklärt seinen Erfolg damit, dass der Dienst von Menschen getragen wird, die das Schicksal pflegender Angehöriger aus eigener Erfahrung kennen und sich durch Werte wie Vertrauen, Engagement und Transparenz auszeichnen. Zufriedenheitsbefragungen bei Patienten, Angehörigen und Mitarbeitenden würden eine hohe Akzeptanz der Dienstleistung belegen.
Dr. Andreas Hellmann sieht die Hauptmotivation vieler Kundinnen und Kunden darin, den Verbleib im eigenen Zuhause langfristig zu sichern – ein Ziel, das rund 80 Prozent ihres Patientenkollektivs anstreben. Der Wunsch, nicht ins Heim wechseln zu müssen, ist oft eng mit der Frage verknüpft, ob die Pflege auch wirtschaftlich und organisatorisch tragfähig gestaltet werden kann.
Durch eine angemessene Entlohnung pflegender Angehöriger könne ein Rollenbild überwunden werden, in dem die Care-Arbeit als selbstverständliche, unbezahlte Familienpflicht gilt. Stattdessen trage man so den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung, bei denen Frauen und Männer gleichermassen berufstätig sind und familiäre Pflegeverantwortung partnerschaftlich teilen wollen.
«Die gängige Annahme, dass 'Sinnhaftigkeit' immer noch als 'Lohn' empfunden werden (sollte), gehört in den Giftschrank der politisch üblichen Entschuldigung freiwilliger sozialer Arbeit.»
- Kommentar aus der Swiss Carers Community
Erste Untersuchungen bei Pflegewegweiser zeigen, dass die Patienten durchschnittlich rund zehn Jahre früher erreicht werden als in klassischen Behandlungsmodellen. Damit lasse sich nicht nur die stationäre Pflege hinauszögern, sondern auch verhindern, dass pflegende Angehörige durch Überlastung zu „Hochkostenfällen“ für das Gesundheitswesen werden.
Umgang mit Kritik: Dialog und Transparenz
Die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit für neue Versorgungsmodelle bringt auch Kritik mit sich – nicht immer unbegründet. Martin Beck räumt ein, dass der „gesetzliche Rahmen und die vielen Unklarheiten Begehrlichkeiten geweckt“ hätten, manche Exponenten der Branche seien dabei nicht mit aufrichtigsten Absichten aufgetreten. Das Unternehmen versucht, mit klaren und glaubwürdigen Unternehmenswerten gegenzuhalten.
Dr. Andreas Hellmann betont, dass Kritik immer auch eine Chance sei, in den Dialog zu treten und die eigenen Prozesse transparent darzustellen. Vorwürfe unlauterer Geschäftspraktiken weist man dort entschieden zurück. Statt reiner Profitmaximierung stünden die Qualitätssicherung, die Unterstützung pflegender Angehöriger und die Entwicklung wissenschaftlicher Evidenz im Vordergrund. „Unsere Mitarbeitenden wissen aus eigener Erfahrung, wie herausfordernd die Care-Arbeit ist“, heisst es vonseiten Pflegewegweiser. Entsprechend versuche man, das Vertrauen der Öffentlichkeit durch Offenheit und Nachvollziehbarkeit zu festigen.
Ein Weg zur Harmonisierung
Die aktuellen Diskussionen legen nahe, dass die Schweiz noch kein einheitliches Modell gefunden hat, um die stationäre mit der ambulanten Pflege, die Unterstützung pflegender Angehöriger und die Restkostenfinanzierung ausgewogen aufeinander abzustimmen. Sowohl AsFam, Carela als auch Pflegewegweiser betonen, dass eine gewisse Harmonisierung und Transparenz in den Regelungen nötig sei. Ziel sollte es sein, ein finanziell wie organisatorisch konsistentes System zu schaffen, das pflegebedürftigen Menschen eine individuelle, qualitätsvolle Betreuung ermöglicht, ohne dass die pflegenden Angehörigen übermässige Lasten tragen müssen.
Angesichts des demografischen Wandels und der steigenden Nachfrage nach häuslicher Betreuung ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich die Stakeholder auf ein klareres Regelwerk einigen. Dass dies gelingen kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob man bereit ist, die existierenden Interessenkonflikte offen auszutragen – und dabei immer die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen in den Mittelpunkt zu stellen.