Betreuende Angehörige, welche ihre Liebsten begleiten, kennen die Problematik nur zu gut. Wer für ein Familienmitglied die Betreuung und Pflege in der eigenen Wohnung organisiert, realisiert einmal, dass die Pflegeleistung über die Spitex von der Krankenkasse zurückerstattet wird. Die Kosten für die Betreuung im Alter jedoch werden nicht gedeckt. Dazu gehört beispielsweise Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Putzen oder die Begleitung zu Arzt- oder Coiffeurbesuchen, Gespräche oder emotionale Unterstützung durch Ratschläge, Anteilnahme und Trost.
In vielen Fällen – besonders auch bei Menschen mit Demenz – ist dieser Zeitaufwand um ein Vielfaches höher als die Verrichtung von spezialisierten Leistungen durch Pflegefachpersonen. Familien, die einer nahestehenden Person eine gute Betreuung im Alter in der eigenen Wohnung ermöglichen möchten, stehen vor der Herausforderung, diese Angehörigenbetreuung entweder selber gratis zu leisten - mit entsprechenden möglichen negativen Auswirkungen auf die eigenen Erwerbstätigkeit, bzw. finanziellen Absicherung im Alter - oder dann die Betreuungsleistung bei privaten oder staatlichen Organisationen einzukaufen.
Ein gesünderer Lebensstil und medizinische Innovation sorgen dafür, dass Menschen immer älter werden. Gleichzeitig nimmt die Anzahl Kinder ab und aufgrund der zunehmenden Mobilität leben erwachsene Kinder nicht mehr am gleichen Ort wie ihre Eltern und Frauen sind vermehrt in Karrieresituationen eingebunden. Diese Entwicklungen verändern die Gesellschaft, das Konzept der Angehörigenbetreuung muss neu verhandelt werden. Das geht nicht ohne die Diskussion der Frage, was eine gute Betreuung im Alter bedeutet.
Zwei kürzlich veröffentlichte Studien «Das frei verfügbare Einkommen älterer Menschen in der Schweiz. Eine vergleichende Studie unter Berücksichtigung des Pflege- und Betreuungsbedarfs» und «Immer mehr Menschen werden ohne Familienangehörige alt» zeigen beispielsweise Handlungsbedarf auf für Menschen, die aufgrund ihres Einkommens für sich keine Betreuungsleistung in der Seniorenwirtschaft einkaufen können oder Menschen, die über keine Angehörige verfügen.
Diese verletzlichen Bevölkerungsgruppen stehen oftmals vor der Wahl, sich möglichst lange ohne Betreuung in der eigenen Wohnung selbst durchzuschlagen - mit allen damit verbundenen Nachteilen - oder in in ein Heim zu ziehen. Die Kosten für die Steuerzahler sind dabei deutlich höher als jene für eine ambulante Betreuungslösung in der eigenen Wohnung.
Vor diesem Hintergrund begrüsst Pro Aidants die durch die Stiftungskooperation von Age-Stiftung, Beisheim Stiftung, MBF Foundation, Migros-Kulturprozent, Paul Schiller Stiftung, Walder Stiftung initiierte alterspolitische Diskussion zu den Herausforderungen in der Betreuung im Alter:
«Gute Betreuung bedingt, dass ich Zeit habe und auf die Beziehung fokussiere. Es geht nicht einfach darum, alte Menschen satt und sauber zu haben, sondern sie in ihrer Eigenständigkeit zu unterstützen und im Gespräch zu begleiten.»
Einig waren sich alle Teilnehmenden darin, dass das heutige System, das Betreuung und Pflege trennt, falsche Anreize setzt. Dazu Daniel Höchli, Direktor von Curaviva Schweiz:
«Es ist ein Mangel, dass Betreuung anders behandelt wird als Pflege. Es geht um den Unterstützungsbedarf der Menschen. Und ob man die Unterstützung erhält, die man braucht, sollte nicht vom Finanzierungssystem abhängen.»
Live-Talk vom 4. Juni 2020: Was macht gute Betreuung im Alter aus? Und wie lässt sie sich verankern?